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Tipp Nr. 84: Die richtige Bestimmung des Betriebsbegriffs bei Massenentlassungen

Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist ein Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als fünf Arbeitnehmer, in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 % der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer, in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Verkennt ein Arbeitgeber bei betrieblichen Umstrukturierungen den Begriff des Betriebs, hat dies erhebliche Folgen. Berechnet er infolgedessen den Schwellenwert fehlerhaft und erstattet er keine Anzeige, weil er der Ansicht ist, eine Massenentlassungsanzeige sei nicht erforderlich, sind die entsprechenden Kündigungen unwirksam. Entsprechendes gilt, wenn er die Anzeige bei der falschen Arbeitsagentur stellt.

Die falsche Strategie:

Fehlerhaft wäre es nach neueren Entscheidungen des EuGH, weiterhin (so bisher das BAG z.B. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12) immer den betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff bei der Prüfung zugrunde zu legen, ob die Schwellenwerte des § 17 KSchG – und ggf. welche – erreicht sind.

Die richtige Strategie:

Eine eigenständige Einheit und damit ein Betrieb im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie liegt nach Ansicht des EuGH bei mehreren Einheiten bereits dann vor, wenn gegeben sind: Vorhandensein einer Leitung, Unterscheidbarkeit, gewisse Dauerhaftigkeit und Stabilität, Bestimmung zur Erledigung einer oder mehrerer bestimmter Aufgaben, Gesamtheit von Arbeitnehmern und  Vorhandensein von technischen Mitteln und einer organisatorischen Struktur zur Erfüllung der Aufgaben (EuGH 30.4.2015 – C-80/14). Dies kann insbesondere im Vergleich zu den betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriffen der §§ 3 und 4 BetrVG und beim Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen zu abweichenden Arbeitnehmerzahlen und damit zu anderen Rechtsfolgen im Rahmen des § 17 KSchG führen.

Sicherheitshalber sollte ein Arbeitgeber in Zweifelsfällen immer zweigleisig vorgehen und die Berechnung immer nach „alter“ und „neuer“ Rechtslage vornehmen. Ergeben sich Unterschiede, sollte er vorsorglich eine entsprechende Massenentlassungsanzeige vornehmen, ggf. sogar bei verschiedenen Agenturen.

 

Ausführlich demnächst Kleinebrink/Commandeur: Der „neue“ Betriebsbegriff bei Massenentlassungen und dessen Folgen, NZA 2015