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Tipp Nr.176: Neuer Rückstellungsbedarf und erweiterte Hinweispflichten bei nicht genommenem Urlaub

Tipp Nr. 176 Neuer Rückstellungsbedarf und erweiterte Hinweispflichten bei nicht genommenem Urlaub?
Im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH trifft den Arbeitgeber in richtlinienkonformer Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dazu muss er den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt (BAG 19.2.2019 – 9 AZR 423/16). Geschieht dies nicht, tritt ein Verfall nicht ein. Das Schicksal eines übergesetzlichen Urlaubs hängt davon ab, ob dieser deutlich vom gesetzlichen Urlaub vertraglich getrennt ist oder ob dies nicht der Fall ist. Bisher noch nicht entschieden ist, ob dann aber die Verjährungsfristen des BGB heranzuziehen sind. Das BAG hat deshalb den EuGH die Frage vorgelegt, ob das Unionsrecht die Verjährung des Urlaubsanspruchs nach Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist gemäß § 194 Abs. 1, § 195 BGB gestattet, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben (BAG v. 29.09.2020 – 9 AZR 266/20 (A)). Das Verfahren ist dort unter C-120/21 anhängig.
Die falsche Strategie:
Falsch wäre es, ohne weiteres davon auszugehen, dass der EuGH eine Verjährung in diesen Fällen annimmt, sodass keine Rückstellungsbedarf besteht, wenn derartige Ansprüche bei Arbeitnehmern im Unternehmen noch vorhanden sind. Aus den Schlussanträgen des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshofs vom 05.05.2022 geht hervor, dass der Arbeitgeber seinen Teil dazu beitragen muss, dass Urlaub nicht verfällt. So müsse der Arbeitnehmer etwa auf den übrigen Urlaub und entsprechende Fristen hingewiesen werden.
Die richtige Strategie:
Arbeitgeber sind deshalb gut beraten zu prüfen, ob derartige möglicherweise nicht verjährte Urlaubsansprüche bei einzelnen Arbeitnehmern vorhanden sein können und welcher Rückstellungsbedarf gegebenenfalls besteht. Außerdem sollten sie die oben genannten Hinweispflichten unbedingt nachweisbar beachten.
Bisher noch nicht entschieden hat der EuGH außerdem, ob das Unionsrecht das Erlöschen des Urlaubsanspruchs bei einer ununterbrochen fortbestehenden Erkrankung des Arbeitnehmers 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres oder einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, obwohl der Arbeitnehmer den Urlaub bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise hätte nehmen können. Die entsprechende Frage hat das BAG ebenfalls dem EuGH vorgelegt (BAG v. 7.7.2020 – 9 AZR 401/19 (A)). Arbeitgeber sollten deshalb die entsprechenden Hinweise vorsorglich auch gegenüber länger arbeitsunfähigen Arbeitnehmern nachweisbar vornehmen.