Tipp Nr. 177 Wahrung der Frist bei außerordentlicher Kündigung trotz – noch – nicht ausreichender Kenntnis der Kündigungsgründe
Eine außerordentliche (fristlose) Kündigung kann nach § 626 Abs. 2 BGB nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt, sobald ein Kündigungsberechtigter von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Innerhalb dieser Frist müssen auch der Betriebsrat und ggf. der Sprecherausschuss und/oder die Schwerbehindertenvertretung beteiligt werden. In der Praxis führt die Wahrung dieser Frist insbesondere dann zu erheblichen Problemen, wenn noch umfangreiche interne Ermittlungen erfolgen müssen, um den bisher bestehenden Verdacht ggf. zu erhärten, sodass der für eine solche Kündigung wichtige Kündigungsgrund gegeben ist oder aber zu entkräften, um dann von der angedachten Kündigung abzusehen.
Die falsche Strategie:
Strategisch falsch wäre es, so lange mit der außerordentlichen Kündigung zu warten, bis der Sachverhalt vollständig aufgeklärt ist. Dies kann nämlich dazu führen, dass die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht mehr gewahrt werden kann, sodass dann nur noch die fristgerechte Kündigung möglich ist, sofern diese nicht insbesondere aufgrund von Sonderkündigungsschutzbestimmungen ausgeschlossen ist.
Die richtige Strategie:
Den richtigen Weg weist eine Entscheidung des BAG v. 12.1.2021 – 2 AZN 724/20, die in der Praxis bisher wenig Beachtung gefunden hat. Demnach ist es möglich, eine außerordentliche (fristlose) Kündigung nach ordnungsgemäßer Beteiligung des Betriebsrats und ggf. der Schwerbehindertenvertretung und/oder des Sprecherausschusses zu erklären, ohne dass bisher die Ermittlungen abgeschlossen sind. Sie kann nach dieser Entscheidung sogar ohne jeden auch nur ansatzweise tragfähigen Grund erfolgen.
Stellt sich dann im Zuge der weiteren Ermittlungen heraus, dass Kündigungsgründe bzw. weitere Kündigungsgründe vorliegen, die im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits vorlagen und dem Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt waren, kann er diese zur Rechtfertigung der ursprünglich ohne tragfähigen Grund oder nicht ausreichenden tragfähigen Grund ausgesprochenen Kündigung nachschieben. Das BAG hält selbst einen vollständigen Austausch der Kündigungsgründe für möglich. Allerdings muss in einem derartigen Fall der Betriebsrat erneut angehört werden. Gleiches gilt für den Sprecherausschuss und/oder die schlenderte Vertretung. Allerdings ist insoweit bisher höchstrichterlich nicht geklärt, unter welchen Voraussetzungen Kündigungsgründe nachgeschoben werden können, wenn vor Ausspruch der Kündigung behördliche Zustimmungserfordernisse, z.B. durch das Integrationsamt bei einer Schwerbehinderung, beachtet werden müssen. Unabhängig von dieser Vorgehensweise kann der Arbeitgeber aufgrund der nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen – auch neben dem Nachschieben der Kündigungsgründe – eine neue außerordentliche (fristlose) Kündigung aussprechen. Auch insoweit sind dann wiederum die notwendigen formalen Voraussetzungen einzuhalten.
Ausf. zu dieser Strategie Gaul/Pitzer, ArbeitsRechts-Berater (ArbRB) 2022, 186ff.