Tipp Nr. 175 Der richtige Umgang mit geltend gemachten Überstunden
Eine Arbeitsleistung, die ein Arbeitnehmer über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus erbringt, kann zu einem Vergütungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber führen. In der Praxis bestehen insoweit aber viele Unsicherheiten.
Die falsche Strategie:
Arbeitgeber sind nicht gut beraten, wenn sie ohne weiteres von Arbeitnehmern behauptete Überstunden vergüten. Ein Vergütungsanspruch kann nämlich aus mehreren Gründen ausgeschlossen sein.
Die richtige Strategie:
Zu prüfen ist zunächst, ob es sich bei den vom Arbeitnehmer behaupteten Zeiten überhaupt um Arbeitszeit handelt. (ausführlich zum Begriff der Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinn Kleinebrink, Arbeitszeit ist nicht immer gleich Arbeitszeit, ARP 2021, 266, 269f.)
Ist dies der Fall, muss festgestellt werden, ob es eine rechtliche Grundlage für einen solchen Vergütungsanspruch gibt. Besteht keine ausdrückliche Regelung, z.B. in einem Arbeitsvertrag oder in einem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag, gilt nach § 612 Abs. 1 BGB eine Vergütung nur dann als Stillschweigen vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Das BAG lehnt eine solche Vergütungserwartung ab, wenn das Einkommen des Arbeitnehmers die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung übersteigt (BAG v. 21.12.2016 – 5 AZR 362/16).
Ferner kann ein Arbeitnehmer einem Arbeitgeber Überstunden nicht gleichsam aufdrängen. Der Arbeitnehmer hat darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat. Da der Arbeitgeber Vergütung nur für von ihm veranlasste Überstunden zahlen muss, hat der Arbeitnehmer zweitens darzulegen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat. In einem eventuellen gerichtlichen Verfahren trägt er eine entsprechende Darlegungs- und Beweislast (BAG v. 4. 5. 2022 – 5 AZR 359/21). Der EuGH hat zwar eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Messung der täglichen Arbeitszeit angenommen. Unabhängig davon, dass dies noch der gesetzlichen Umsetzung in deutsches Recht bedarf, betrifft dies allein die Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinn und hat damit keine Auswirkungen auf die vergütungsrechtliche Seite und die entsprechende Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers.