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Tipp Nr.174: Der richtige Umgang mit dem „neuen“ betrieblichen Eingliederungsmanagement

Tipp Nr. 174 Der richtige Umgang mit dem „neuen“ betrieblichen Eingliederungsmanagement
Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement kurz bEM). Ist der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, ist er in einem späteren arbeitsrechtlichen Verfahren, das eine krankheitsbedingte Kündigung zum Streitgegenstand hat, darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Dieser Beweis wird dem Arbeitgeber sehr schwerfallen, sodass er Gefahr läuft, das Verfahren bereits aus diesem Grund zu verlieren, sofern keine einvernehmliche Lösung erfolgt.
Die falsche Strategie:
Aufgrund dieser kündigungsrechtlich schwerwiegenden Folge müssen die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des bEM sorgfältig beachtet werden. Aufgrund einer neueren Entscheidung des BAG wäre es fehlerhaft, nach einem einmal erfolgten bEM davon auszugehen, dass ein erneutes bEM erst dann wieder erfolgen muss, wenn der Arbeitnehmer nach Ablauf eines Mindestbetrachtungszeitraum von einem Jahr wieder mehr als 6 Wochen arbeitsunfähig ist.
Die richtige Strategie:
Der Arbeitgeber hat grundsätzlich nach einem Urteil des BAG (BAG v. 8.11.2021 -2 AZR 138/21) ein neuerliches bEM durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines bEM erneut länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war, ohne dass es auf einen derartigen Mindestbetrachtungszeitraum ankommt. Aus dem Gesetz soll sich kein „Mindesthaltbarkeitsdatum“ von einem Jahr eines bereits durchgeführten bEM ergeben.
Vor diesem Hintergrund stellt sich dann die Frage, wann ein bEM abgeschlossen ist, sodass nun bereits wieder eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als 6 Wochen zu einem weiteren bEM führen kann.
Ein bEM ist nach Ansicht des BAG jedenfalls dann abgeschlossen, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig sind, dass der Suchprozess durchgeführt ist oder nicht weiter durchgeführt werden soll. Dies gilt entsprechend, wenn allein der Arbeitnehmer seine Zustimmung für die weitere Durchführung nicht erteilt. Deren Vorliegen ist nach § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX Voraussetzung für den Klärungsprozess.
Dagegen kann der Arbeitgeber den Suchprozess grundsätzlich nicht einseitig beenden. Gibt es aus seiner Sicht keine Ansätze mehr für zielführende Präventionsmaßnahmen, ist der Klärungsprozess erst dann als abgeschlossen zu betrachten, wenn auch vom Arbeitnehmer und den übrigen beteiligten Stellen keine ernsthaft weiterzuverfolgenden Ansätze für zielführende Präventionsmaßnahmen aufgezeigt wurden, ggf. ist ihnen hierzu Gelegenheit binnen bestimmter Frist zu geben.
Hat der Arbeitgeber gegen diese Grundsätze verstoßen, zeigt das BAG zwar Möglichkeiten für Arbeitgeber auf, die nicht rechtzeitig ein erneutes bEM durchgeführt haben. Ihnen steht die Möglichkeit offen, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass auch ein neuerliches bEM schon deshalb kein positives Ergebnis erbracht hätte, weil bereits das vorherige keines ergeben hat und keine relevanten Veränderungen gegenüber dem für den Suchprozess des vorherigen bEM maßgeblichen Stand der Dinge eingetreten sind. Ferner kann der Arbeitgeber unabhängig davon, ob bereits ein zuvor durchgeführtes bEM Rückschlüsse auf die Nutzlosigkeit eines weiteren erlaubt, geltend machen, dass die Durchführung eines (weiteren) bEM keine positiven Ergebnisse hätte zeitigen können. Für die objektive Nutzlosigkeit trägt er die Darlegungs- und Beweislast. Dazu muss er umfassend und konkret vortragen, weshalb weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung und Veränderung möglich war und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können. Dabei ist eine Abstufung seiner Darlegungslast vorzunehmen, falls ihm die Krankheitsursachen unbekannt sind. Dieser Beweis wird ihm allerdings schwerfallen.
Diese Rechtsprechung des BAG kann bei Dauer erkrankten Arbeitnehmern dazu führen, dass ständig neue bEM durchzuführen sind. Anzustreben sind jeweils Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer das neue Durchführungen mangels neuer Erkenntnisse keinen Sinn machen.