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Tipp Nr. 123: Kündigung unerkannter Schwerbehinderter in der Wartezeit

Tipp Nr. 123: Kündigung unerkannter Schwerbehinderter in der Wartezeit

Ziel eines Arbeitgebers, der sich von einem Arbeitnehmer trennen möchte, ist, die Trennung ohne vermeidbare materielle und immaterielle Risiken durchzuführen. Beabsichtigt ein Arbeitgeber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer oder einem Arbeitnehmer, der einem Schwerbehinderten gleichgestellt ist, zu kündigen, muss er regelmäßig zuvor nach § 85 SGB IX die Zustimmung des Integrationsamtes einholen. Ansonsten ist die Kündigung allein aus diesem Grund nach § 134 BGB  unwirksam. Allerdings kann nach § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX die Beteiligung des Integrationsamtes unterbleiben, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ohne Unterbrechung noch nicht länger als sechs Monate besteht. Außerdem hat er die Schwerbehindertenvertretung – sofern eine solche vorhanden ist – vor der Kündigung ordnungsgemäß im Sinne des § 95 SGB IX zu beteiligen. Auch die Missachtung dieses Beteiligungsrechts führt – nach § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX – dazu, dass die Kündigung nicht rechtmäßig ist. Eine ausdrückliche Vorschrift, die es einem Arbeitgeber ermöglicht, in einem solchen Fall in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses auch die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ohne negative Rechtsfolgen zu unterlassen, gibt es nicht.

Die falsche Strategie:

Falsch wäre es zu unterstellen, dass die fehlende Vorschrift auf einem Versehen des Gesetzgebers beruht und deshalb im Glauben, die Vorschriften zum Integrationssamt seien entsprechend anzuwenden, ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung in den ersten sechs Monaten eines Arbeitsverhältnisses zu kündigen. Offenbart ein Arbeitnehmer nämlich nach Erhalt der Kündigung, dass er tatsächlich schwer behindert  oder tatsächlich einem Schwerbehinderten gleichgestellt ist, wird dadurch mangels Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung die Kündigung mit großer Wahrscheinlichkeit unwirksam.

Die richtige Strategie:

Der Arbeitgeber kann dieses Risiko auf zwei Wegen vermeiden. Er kann entweder auch in den ersten sechs Monaten eines Arbeitsverhältnisses in jedem Fall die Schwerbehindertenvertretung ordnungsgemäß beteiligen. Unerheblich ist dann, ob der Arbeitnehmer tatsächlich schwerbehindert war. Denkbar ist auch, dass er sich in einem derartigen Fall beim Arbeitnehmer erkundigt, ob eine Schwerbehinderung, eine Gleichstellung oder entsprechende Anträge vorliegen. Das BAG hat zwar in einer früheren Entscheidung ein solches Fragerecht unter Beachtung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes nur dann für zulässig erachtet, wenn der Arbeitnehmer bereits den entsprechenden Sonderkündigungsschutz besitzen konnte, d. h. nach einem Betriebszugehörigkeit von sechs Monaten. Gleichzeitig hat es aber deutlich gemacht, dass das Fragerecht generell besteht, wenn es dem Arbeitgeber dazu dienen soll, sich gesetzeskonform zu verhalten (BAG v. 16.2.2012 – 6 AZR 553/10). Aufgrund der erst kürzlich verschärften Sanktionen bei Missachtung der Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung wird man nun auch ein entsprechendes Fragerecht in den ersten sechs Monaten annehmen müssen, da es auch dann dazu dient, die Rechte der Schwerbehindertenvertretung – und damit das Gesetz – zu wahren.

Ausf. Kleinebrink, Stärkung der Rechte der Schwerbehindertenvertretung nach dem Bundesteilhabegesetz, DB 2017, 126ff.