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Tipp Nr. 77: Interessenausgleich – Ermittlung des richtigen Verhandlungspartners

In den in § 111 Satz 3 BetrVG geregelten Fallgruppen einer Betriebsänderung hat der Arbeitgeber mit dem zuständigen betriebsverfassungsrechtlichen Organ einen Interessenausgleich anzustreben. Unterlässt er dies, läuft er Gefahr, dass die von dieser Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer einen Nachteilsausgleich iSd § 113 Abs. 3 BetrVG gerichtlich durchsetzen. In manchen Bezirken der Landesarbeitsgerichte können außerdem übergegangene betriebsverfassungsrechtliche Organe mithilfe einer einstweiligen Verfügung versuchen, die Durchführung der Betriebsänderung zu unterlassen, bis die Verhandlungen über einen Interessenausgleich mit den richtigen Organ stattgefunden haben. In der Praxis kann es zum Streit darüber kommen, ob für die vom Arbeitgeber beabsichtigte Betriebsänderung als Verhandlungspartner der Betriebsrat des betroffenen Betriebs oder aber der Gesamtbetriebsrat zuständig ist.

Die falsche Strategie:

Falsch wäre es, wenn der Arbeitgeber einseitig ohne weiteres von sich aus in derartigen Zweifelsfällen den aus seiner Sicht zuständigen Verhandlungspartner auswählt. Der Versuch eines Interessenausgleichs im Sinne von § 113 Abs. 3 BetrVG erfordert die Verhandlung mit dem zuständigen Betriebsrat oder Gesamtbetriebsrat. Der Arbeitgeber trägt die Initiativlast. Wählt er den falschen Verhandlungspartner aus und schließt mit ihnen einen Interessenausgleich, ist dieser unwirksam. Es drohen die oben geschilderten negativen Folgen.

Die richtige Strategie:

Bestehen aus Sicht des Arbeitgebers keine Bedenken, dass der Gesamtbetriebsrat die Verhandlungen führt und ist auch der Betriebsrat trotz der unsicheren Zuständigkeit hiermit einverstanden, kann der Betriebsrat nach § 50 Abs. 2 BetrVG mit der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder den Gesamtbetriebsrat beauftragen, den Interessenausgleich für ihn zu behandeln. War tatsächlich der Betriebsrat für die Verhandlungen zuständig, liegt eine rechtmäßige Delegation der Verhandlungen auf den Gesamtbetriebsrat nach dieser Vorschrift vor. War der Betriebsrat hingegen nicht der richtige Verhandlungspartner, verhandelt nun mit dem Gesamtbetriebsrat die richtige Partei. Dies geschieht dann zwar nicht kraft Delegation; dies ist aber unerheblich, da der Gesamtbetriebsrat dann die originäre Zuständigkeit nach § 50 Abs. 1 BetrVG besitzt.

Besteht keine Einigkeit über die Einschaltung des Gesamtbetriebsrats, muss der Arbeitgeber die in Betracht kommenden Gremien zur Klärung der Zuständigkeitsfrage auffordern. Einigen sich Gesamtbetriebsrat und Einzelbetriebsräte auf die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats, ist dieser in der Regel schon deshalb der richtige Verhandlungspartner, weil dann zumindest eine Beauftragung des Gesamtbetriebsrats nach § 50 Abs. 2 BetrVG anzunehmen ist. Einigen sich Gesamtbetriebsrat und Einzelbetriebsräte auf die Zuständigkeit eines oder mehrerer Einzelbetriebsräte, ist diese Einigung allerdings rechtlich nicht bindend, falls in Wahrheit die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats gegeben wäre; das Gesetz sieht eine entsprechende Delegation nicht vor. Verhandelt der Arbeitgeber aber dennoch mit derjenigen Arbeitnehmervertretung, die ihm gegenüber von den in Betracht kommenden betriebsverfassungsrechtlichen Organen übereinstimmend als zuständig bezeichnet wurde, liegt hierin regelmäßig ein dem Sanktionszweck des § 113 Abs. 3 BetrVG genügender Versuch eines Interessenausgleichs. Das gleiche gilt, wenn sich die Arbeitnehmervertretungen nicht einigen und der Arbeitgeber daraufhin eine Entscheidung trifft, die unter Berücksichtigung der Entscheidungssituation nachvollziehbar erscheint (BAG v.24.1.1996 – 1 AZR 542/95).