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Tipp Nr. 67: Berücksichtigung einer Anschlusswahl bei der Bestimmung von Schwellenwerten

Betriebsteile gelten als selbstständige Betriebe, wenn sie die in § 1 Abs. 1 BetrVG geregelten Mindestzahlen an Wahlberechtigten und wählbaren Arbeitnehmern aufweisen sowie räumlich vom Hauptbetrieb entfernt oder durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig sind. Die in einem solchen Fall kraft Gesetzes begründete Selbstständigkeit eines Betriebs kann aber durch eine Entscheidung der Arbeitnehmer aufgehoben werden. Besteht in einem selbstständigen Betrieb iSd § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kein eigener Betriebsrat, können die Arbeitnehmer dieses Betriebsteils formlos beschließen, an der Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb teilzunehmen (siehe bereits Strategietipp Nr 65).

Durch den Beschluss über die Teilnahme an der Wahl im Hauptbetrieb wird die durch § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG fingierte Eigenständigkeit des Betriebsteils aufgehoben. Die aus einer gemeinsamen Wahl hervorgegangene Arbeitnehmervertretung nimmt das Betriebsratsamt nicht in einer Doppelfunktion sowohl für den Hauptbetrieb als auch zugleich für den betriebsverfassungsrechtlich als eigenständig geltenden Betriebsteil wahr Vielmehr ist ein betriebsratsloser Betriebsteil iSd. § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dem Hauptbetrieb zuzuordnen, wenn sich die Belegschaft des Betriebsteils für die Teilnahme an der Betriebsratswahl im Hauptbetrieb entscheidet und an dieser teilnimmt. (BAG v. 17.9.2013 -1 ABR 21/12).

Die falsche Strategie:

Falsch wäre es anzunehmen, dass eine solche Anschlusswahl keine Auswirkungen auf die Schwellenwerte hat, die ua bei einer Betriebsänderung für die Verpflichtung, einen Interessenausgleich und ggf auch Sozialplan aufzustellen, von Bedeutung sind.

Die richtige Strategie:

Bei der Frage, ob im BetrVG genannte Schwellenwerte überschritten und deshalb die entsprechenden Vorschriften anwendbar sind, sind nicht nur die Arbeitnehmer mitzuzählen, die in dem bisher selbständigen Betriebsteil tätig sind; durch die Anschlusswahl entsteht ein Betrieb im Sinne dieser Schwellenwerte, sofern das einschlägige Gesetz zumindest auch auf den Betrieb abstellt.

Die Anschlusswahl kann somit dazu führen, dass Betriebsänderungen, die im selbstständigen Betrieb iSd § 4 Abs. 1 BetrVG für sich genommen die Schwellenwerte der § § 111 ff BetrVG überschritten hätten, im durch die Anschlusswahl gebildeten Gemeinschaftsbetriebe nicht mehr überschritten sind.

Beispiel:

In einem selbständigen Betriebsteils iSd § 4 Abs. 1 BetrVG sind 30 Arbeitnehmer beschäftigt. Im Hauptbetrieb sind 100 Arbeitnehmer tätig. Es findet eine Anschlusswahl statt. Der Arbeitgeber entschließt sich, im bisher selbstständigen Betriebsteil sieben Arbeitnehmer zu entlassen. Ohne die Anschlusswahl wäre bei einem im selbstständigen Betriebsteil iSd § 4 Abs. 1 BetrVG vorhanden Betriebsrat ein Sozialplan nach § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG aufzustellen gewesen, da der Schwellenwert von sechs Arbeitnehmern, die freigesetzt werden, überschritten wird. Da nach der Anschlusswahl alle Arbeitnehmer des Hauptbetriebs und des bisher selbstständigen Betriebs zusammengerechnet werden und damit eine Gesamtarbeitnehmerzahl von 130 erreicht wird, führen die sieben Entlassungen nicht zu Überschreitung des in  § 112a Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 BetrVG genannten Schwellenwerts von 20 % der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer.

Eine Strategie für Arbeitgeber könnte deshalb darin bestehen, im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen eine Anschlusswahl beim nach  § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bisher selbstständigen Betriebsteil zu erreichen. Bedacht werden muss zum einen aber, dass eine derartige Anschlusswahl nach § 4 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nur durch die Arbeitnehmer des bisher selbstständigen Betriebsteils über einen entsprechenden Beschluss erreicht werden kann, mag auch der Betriebsrat des Hauptbetriebs die Abstimmung veranlassen können. Dem Arbeitgeber fehlt damit die Kompetenz, von sich aus die Anschlusswahl durchzusetzen.

Ferner kann die Anschlusswahl auch aus seiner Sicht zu einem nachteiligen Ergebnis führen. Dies ist der Fall, wenn ohne Anschlusswahl aufgrund der Personalreduzierung im selbstständigen Betriebsteil Schwellenwerte nicht überschritten worden wären, dies nun aber eintritt, weil die Arbeitnehmer des Hauptbetriebs und des bisher selbstständigen Betriebsteils zusammengerechnet werden.

Beispiel:

Im bisher selbstständigen Betriebsteil sind 30 Arbeitnehmer beschäftigt; im Hauptbetrieb sind 100 Arbeitnehmer tätig. Der Arbeitgeber entschließt sich, im bisherigen Hauptbetrieb 30 Arbeitnehmer und bisher selbstständigen Betriebsteil zwei Arbeitnehmer freizusetzen. Die Zahl der Entlassungen im bisher selbstständigen Betriebsteil überschreitet nicht die Schwellenwertes § 112 a Abs. 1 BetrVG. Selbst wenn ein eigenständiger Betriebsrat dort gewählt wird, muss kein Sozialplan aufgestellt werden. Durch die Anschlusswahl ist dies nun aber der Fall, da bei 130 Arbeitnehmern 31 Arbeitnehmer freigesetzt werden und damit die 20 % Grenze des § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr 2 BetrVG überschritten ist.

Eine allgemein verbindliche strategische Empfehlung, ob ein Anschlusswahl aus Sicht eines Arbeitgeber sinnvoll ist, gibt es damit nicht. Wichtig ist für den Arbeitgeber in jedem Fall ist aber, bei strategischen Überlegungen die Folgen einer evtl Anschlusswahl für die gesetzlichen Schwellenwerte im BetrVG zu bedenken.