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Tipp Nr. 192: Schaffung übergangsfähiger Einheiten vor einem Betriebsübergang

In der Praxis werden häufig nicht Betriebe, sondern nur Betriebsteile in Form eines asset deals veräußert. Die in diesem Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmer gehen dann gemäß § 613 Abs. 1 Satz 1 BGB kraft Gesetzes auf den Erwerber über. Vor diesem Hintergrund kann der Arbeitgeber ein Interesse daran haben, den zu veräußernden Betriebsteil erst im Zusammenhang mit der Veräußerung zu schaffen, da er möglicherweise erst dann weiß, was Gegenstand des Kaufvertrages sein wird.

Eine neue Entscheidung des BAG v. 21.3.2024 – 2 AZR 79/23 eröffnet Arbeitgebern insoweit Gestaltungsmöglichkeiten.

Schaffung einer wirtschaftlichen Einheit aufgrund späterer Veräußerung

Das BAG hält es für zulässig, dass der Betriebsteil, den die europäische Rechtsprechung in diesem Zusammenhang als wirtschaftliche Einheit bezeichnet, erst kurz vor dem Übergang auf den Erwerber entsteht. In dem vom BAG entschiedenen Fall lag zwischen der Bildung der wirtschaftlichen Einheit und dem Übergang nur ein Zeitraum von ca. einem Monat.

Wichtig ist jedoch, dass es sich bei der vom Veräußerer geschaffenen Einheit tatsächlich um eine wirtschaftliche Einheit im Sinne der §§ 613a BGB handelt. Hierfür ist erforderlich, dass die wirtschaftliche Einheit eine hinreichend organisierte, abgrenzbare und verselbständigte Einheit darstellt, die in der Lage ist, eine wirtschaftliche Tätigkeit mit eigener Zielsetzung zu verfolgen. Dabei kann es sich auch um einen Teilzweck handeln. Die erforderliche organisatorische Selbständigkeit kann durch Ausgliederung und Zuordnung bestimmter Wirtschaftsgüter und Funktionen erreicht werden. Wichtig ist, dass für diese wirtschaftliche Einheit auch eine betriebliche Leitung geschaffen wird, die gegenüber den ihr zugeordneten Arbeitnehmern weisungsbefugt ist.

Die von einem späteren Übergang der wirtschaftlichen Einheit nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB betroffenen Arbeitnehmer können nicht mit Erfolg einwenden, ihre Versetzung in die kurz danach auf den Erwerber übergegangene wirtschaftliche Einheit verstoße gegen § 613a Abs. 4 BGB. Nach dieser Vorschrift ist nur die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebsteils unwirksam, nicht aber die Versetzung des Arbeitnehmers. Eine planwidrige Lücke liegt – wie das BAG zutreffend erkannt hat – nicht vor. Insbesondere wird diesen Arbeitnehmern kein fremder Arbeitgeber aufgezwungen. Sie haben nach § 613a Abs. 6 BGB die Möglichkeit, dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses zu widersprechen, so dass sie beim Veräußerer verbleiben.

Berücksichtigung individualrechtlicher und betriebsverfassungsrechtlicher Vorgaben bei Versetzungen

Allerdings muss es dem Arbeitgeber gelingen, die für die neue wirtschaftliche Einheit benötigten Arbeitnehmer unter Beachtung der individualvertraglichen betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben in diese zu versetzen. Nur dann gehen ihre Arbeitsverhältnisse nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber über. Erst dann sind Sie dieser wirtschaftlichen Einheit zugeordnet.

Reichweite des Direktionsrechts des Arbeitgebers

Der Umfang des Direktionsrechts des Arbeitgebers ist in § 106 GewO gesetzlich geregelt. Danach kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind.

Für die Frage, ob die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind, ist entscheidend, ob das Ergebnis der getroffenen Entscheidung den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Auf die Erwägungen des Arbeitgebers kommt es nicht an. Das BAG konnte dies mangels Tatsachenkenntnis nicht entscheiden. Es betont jedoch, dass arbeitsplatzbezogene Sachkriterien bei der Abwägung eine wichtige Rolle spielen.

Beachtung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats

In Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber den Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG vor jeder Versetzung in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise zu beteiligen. Eine Versetzung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes liegt nach § 90 Abs. 3 BetrVG vor, wenn es sich um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs handelt, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet oder mit der eine erhebliche Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Daran bestehen in dem vom BAG entschiedenen Fall keine Zweifel, da die Arbeitnehmer nach den Vorstellungen des Arbeitgebers auf Dauer in der neu geschaffenen wirtschaftlichen Einheit verbleiben sollen.

Entscheidend ist daher, ob dem Betriebsrat ein durchsetzbares Zustimmungsverweigerungsrecht i.S.d. § 99 Abs. 2 BetrVG zusteht. Auch hierzu konnte das BAG mangels Tatsachenkenntnis keine Aussage treffen.

Zusammenfassung

Die Entscheidung des BAG eröffnet Arbeitgebern Gestaltungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Betriebsteilübergängen im Sinne des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB. Allerdings hängt der Erfolg letztlich davon ab, ob es individual- und betriebsverfassungsrechtlich gelingt, die vom Arbeitgeber ausgewählten Arbeitnehmer in die neue wirtschaftliche Einheit zu überführen. Selbst wenn dies gelingt, ist ihr Ausscheiden beim Veräußerer nicht sicher, da ihnen in jedem Fall das Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB verbleibt.