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Tipp Nr. 43: Der strategisch richtige Umgang mit dem Erholungsurlaub bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit

Bisher war unklar, wie ein Arbeitnehmer mit dem Erholungsurlaub zu verfahren hat, der einem Arbeitnehmer nach einer langandauernden Arbeitsunfähigkeit zusteht (siehe Tipp 29). Nunmehr sorgt eine Entscheidung des BAG vom 7.8.2012 – 9 AZR 353/10 für Klarheit und ermöglicht dem Arbeitgeber ein strategisches Vorgehen.

Das Ziel:

Sind Arbeitsnehmer langandauernd Arbeitsunfähigkeit, haben Arbeitgeber regelmäßig kein Interesse daran, diesen Arbeitnehmern nach deren Rückkehr an den Arbeitsplatz den gesamten Urlaub zu gewähren, der rechnerisch während der Zeit der langandauernden Arbeitsunfähigkeit entstanden ist. Ebenso möchten sie bei einem späteren Ausscheiden dieser Arbeitnehmer eine Urlaubsabgeltung in entsprechender Höhe leisten.

Die falsche Strategie:

Strategisch falsch wäre es, davon auszugehen, dass während einer länger andauernden Arbeitsunfähigkeit oder beim Bezug einer Erwerbsminderungsrente überhaupt kein Urlaubsanspruch entsteht. Ebenso falsch wäre es aber, ohne weitere Nachprüfung den gesamten Urlaub, der rechnerisch während der bestehenden Arbeitsunfähigkeit oder während des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente entstanden ist, nachträglich zu gewähren oder bei einem Ausscheiden des Arbeitnehmers abzugelten.

Die richtige Strategie:

Arbeitgeber können berücksichtigen, dass auch bei einer langandauernden Arbeitsunfähigkeit oder während des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente ein während dieser Zeit entstandener Urlaubsanspruch verfallen kann.

In einem  ersten Schritt muss der Arbeitgeber zwischen dem gesetzlichen Urlaub und einem übergesetzlichen Urlaub unterscheiden.

Ein übergesetzlicher Urlaub, z.B. ein nach einem Tarifvertrag über den gesetzlichen Urlaubsanspruch von 4 Wochen hinaus bestehender Zusatzurlaub von 2 Wochen, verfällt weiter trotz einer eventuell weiterbestehen Arbeitsunfähigkeit zu dem in diesem Zusammenhang, z.B. im Tarifvertrag, genannten Zeitpunkt. Ist dieser nicht angegeben, gilt auch insoweit die gesetzliche Regelung des Verfalls zum 31. März des Folgejahres (§ 7 Abs. 3 S. 3 BurlG). Voraussetzung ist aber, dass in den Regelungswerken deutlich zwischen dem gesetzlichen Urlaub und diesem übergesetzlichen Urlaub getrennt wird, indem z.B. vom Bundesurlaubsgesetz abweichende Regelungen enthalten sind.

In einem zweien Schritt ist dann der Verfallzeitpunkt für den gesetzlichen Urlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz und gegebenenfalls nach den für Schwerbehinderte und diesen Gleichgestellte geltenden Regelungen des SGB IX zu ermitteln. Ist im ersten Schritt festgestellt worden, dass der übergesetzliche Urlaub nicht vom gesetzlichen Urlaub getrennt werden kann, teilt dieser das Schicksal des Verfalls beim gesetzlichen Urlaub.

Bei langjährig arbeitsunfähigen Arbeitnehmern ist nach der genannten Entscheidung des BAG § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG, wonach im Fall der Übertragung der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden muss, unionsrechtskonform so auszulegen, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfällt.

Beispiel:ein Arbeitnehmer ist seit dem 1.1.2009 andauernd arbeitsunfähig. Er scheidet zum 31.12.2012 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Der auf den Arbeitsvertrag anwendbare Tarifvertrag unterscheidet deutlich zwischen den gesetzlichen Urlaub und dem übergesetzlichen Urlaub von 2 Wochen. Der Arbeitnehmer ist nicht schwerbehindert oder gleichgestellt.

Der gesetzliche Urlaubsanspruch für das Jahr 2009 ist am 31.3.2011 verfallen. Der übergesetzliche Urlaub für das Jahr 2009 ist – sofern der Tarifvertrag keine abweichende Regelung enthält – am 31.3.2010 verfallen.

Der gesetzliche Urlaubsanspruch für das Jahr 2010 ist am 31.3.2012 verfallen. Der übergesetzliche Urlaub für das Jahr 2010 ist – sofern der Tarifvertrag keine abweichende Regelung enthält – am 31.3.2011 verfallen.

Der gesetzliche Urlaubsanspruch für das Jahr 2011 ist nicht verfallen (ein Verfall wäre nur dann eingetreten, wenn der Arbeitnehmer über den 31.3.2013 hinaus arbeitsunfähig gewesen wäre). Der übergesetzliche Urlaubsanspruch für das Jahr 2011 ist am 31.3.2012 verfallen, sofern der Tarifvertrag keine abweichende Regelung enthält.

Der gesetzliche und der übergesetzliche Urlaubsanspruch für das Jahr 2012 sind nicht verfallen.

Abzugelten sind damit insgesamt 10 Wochen Urlaub. Unerheblich ist, ob der Arbeitnehmer arbeitsfähig oder arbeitsunfähig aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist, da der Urlaubsabgeltungsanspruch nach neuerer Rechtsprechung des BAG kein Ersatz mehr für die Urlaub in Natur ist, sondern einen eigenen finanziellen Anspruch darstellt (siehe nur BAG vom 19.6.2012 – 9 AZR 652/10).