Tipp Nr. 165 BetrVG: Erweiterte Möglichkeiten einer Einschaltung von Sachverständigen durch den Betriebsrat

Tipp Nr. 165: BetrVG: Erweiterte Möglichkeiten einer Einschaltung von Sachverständigen durch den Betriebsrat
Der Betriebsrat kann nach § 80 Abs. 3 BetrVG bei der Durchführung seiner Aufgaben nach näherer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber Sachverständige hinzuziehen, soweit dies zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Für den Arbeitgeber kann diese Regelung erhebliche finanzielle Auswirkungen haben. Dieser hat nämlich nach § 40 Abs. 1 BetrVG die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten zu tragen. Betriebswirtschaftliches Ziel des Arbeitgebers ist es, diese Kosten möglichst gering zu halten, um insbesondere für Investitionen nach Beendigung der Pandemie finanziell gerüstet zu sein. Bisher sah das Gesetz von dem Grundsatz der Erforderlichkeit der Einschaltung lediglich eine Ausnahme bei Betriebsänderungen vor. Nach § 111 Satz 2 BetrVG kann ein Betriebsrat in Unternehmen mit mehr als 300 Arbeitnehmern zu seiner Unterstützung einen Berater hinzuziehen. Von besonderer Bedeutung ist deshalb, dass durch das am 18.06.2021 in Kraft getretene Betriebsrätemodernisierungsgesetz die Möglichkeit des Betriebsrates erweitert wurde, ohne Prüfung einer Erforderlichkeit einen Sachverständigen heranzuziehen. Nach § 80 Abs. 3 Satz 2 BetrVG n.F. wird unwiderlegbar vermutet, dass die Hinzuziehung eines Sachverständigen erforderlich ist, wenn der Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben die Einführung oder Anwendung von Künstlicher Intelligenz beurteilen muss.
Die falsche Strategie:
Strategisch falsch wäre es, Behauptungen des Betriebsrates, es handele sich um eine Angelegenheit der Künstlichen Intelligenz, ohne weitere Prüfung hinzunehmen. Ungeklärt ist bisher, wie weit dieser Begriff zu fassen ist. In Zweifelsfällen sollte überlegt werden, eine gerichtliche Auseinandersetzung einzugehen. Ebenso wäre strategisch falsch, die neue gesetzlichen Vermutung auf den Gesamtkomplex der Beauftragung eines Sachverständigen durch den Betriebsrat zu erstrecken.
Die richtige Strategie:
Die gesetzliche Vermutung macht es notwendig, dass der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber über die Hinzuziehung des Sachverständigen eine Vereinbarung trifft. Die Vermutung erstreckt sich allein auf das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit der Hinzuziehung, nicht aber auf die übrigen Tatbestandsmerkmale der Vorschrift.
Ein Betriebsrat ist nur berechtigt, einen Sachverständigen auf Kosten des Arbeitgebers hinzuzuziehen, wenn er das Wissen, das ihm der Sachverständige vermitteln soll, benötigt, um eine Aufgabe zu erfüllen, die ihm das Gesetz auferlegt. Insoweit kann sich – wie bereits ausgeführt – insbesondere die Frage stellen, ob es sich tatsächlich um eine Frage der Künstlichen Intelligenz handelt. Als Sachverständige kommen ferner nur solche Personen in Betracht, die dem Betriebsrat fehlende Fachkenntnisse zur Beantwortung konkreter, aktueller Fragen vermitteln können, damit er die ihm obliegende betriebsverfassungsrechtliche Aufgabe im Einzelfall sachgerecht erfüllen kann. Der Betriebsrat hat außerdem einen Beschluss zu fassen, in dem möglichst genau zu bezeichnen ist, für welche Aufgabe und zu welchem Thema ihm fachliche, technische und/oder rechtliche Kenntnisse fehlen, die der Sachverständige ihm vermitteln kann. Letztendlich muss die Höhe der Kosten, die durch die Einschaltung des Sachverständigen entstehen, erforderlich sein. Ist dies nicht der Fall, müssen die Betriebsratsmitglieder, die den entsprechenden Beschluss gefasst haben bzw. das Betriebsratsmitglied, das die Beauftragung des Sachverständigen vorgenommen hat, die Differenz tragen, sofern nicht auch hinsichtlich der Kostentragung eine entsprechende Vereinbarung mit dem Arbeitgeber verbindlich bereits getroffen wurde.

Ausf. bereits Kleinebrink, Hinzuziehung von Sachverständigen durch den Betriebsrat, ArbRB 2006, 278

Tipp Nr. 164 BetrVG: Erstreckung der Wahlberechtigung auf Minderjährige und Größe des Betriebsrats

Tipp Nr. 164 BetrVG: Erstreckung der Wahlberechtigung auf Minderjährige und Größe des Betriebsrats
Am 18.06.2021 ist das Betriebsrätemodernisierungsgesetz in Kraft treten. Dies beinhaltet wesentliche Änderungen des BetrVG. Einfluss haben diese Änderungen teilweise in erheblichem Umfang auf die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers. Dieser hat nämlich nach § 40 Abs. 1 BetrVG die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten zu tragen. Betriebswirtschaftliches Ziel des Arbeitgebers ist es, diese Kosten möglichst gering zu halten, um insbesondere für Investitionen nach Beendigung der Pandemie finanziell gerüstet zu sein.

Die falsche Strategie:
Eine wesentliche Änderung die durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz erfolgt, ist die Ausweitung derjenigen, die berechtigt sind, den Betriebsrat zu wählen. Bisher waren nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BetrVG lediglich die Arbeitnehmer des Betriebs wahlberechtigt, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Nun gilt diese Wahlberechtigung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BetrVG n.F. bereits ab dem 16. Lebensjahr. Dies kann Auswirkungen auf die Zahl der Betriebsratsmitglieder haben. Diese Zahl bestimmt sich nämlich nach § 9 BetrVG nach der Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer. Unzulässig wäre es indes, wenn der Betriebsrat bereits jetzt Neuwahlen vornehmen würde, wenn sich aufgrund der erweiterten Wahlberechtigung die Zahl der Wahlberechtigten in einem solchen Umfang erhöht, dass nun mehr Betriebsratsmitglieder zu wählen werden. Der Arbeitgeber sollte in einem solchen Fall nicht tatenlos bleiben. Ebenso wäre es eine falsche Strategie des Arbeitgebers, aufgrund der Ausweitung der Wahlberechtigung überhaupt keine strategische Überlegungen anzustellen.
Die richtige Strategie:
§ 13 BetrVG regelt abschließend, wann außerhalb der regelmäßigen Betriebsratswahlen, die aktuell erst wieder in der Zeit vom 1. März bis zum 31.05.2022 stattfinden, vorzeitig Betriebsratswahlen stattfinden müssen. Die Fallgestaltung, dass sich die Zahl der Betriebsratsmitglieder aufgrund einer gesetzlichen Änderung zur Wahlberechtigung geändert hat, ist insoweit gesetzlich nicht vorgesehen, sodass bereits aus diesem Grund keine Neuwahl stattzufinden hat. Selbst bei der Veränderung der Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer sieht das Gesetz in § 13 Abs. 2 Nummer 1 BetrVG eine Neuwahl nur dann vor, wenn sich genau mit Ablauf von 24 Monaten eine wesentliche Änderung hinsichtlich dieser Zahl ergeben hat. Selbst wenn man diese Vorschrift entsprechend anwenden würde, wäre diese nicht einschlägig, da sich die Veränderungen erst weit nach Ablauf dieses Zeitraums durch die Gesetzesänderung ergeben haben. Allerdings sollte der Arbeitgeber dennoch prüfen, welche Auswirkungen die Herabsetzung des Wahlalters auf die Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer hat. Stellt er nämlich fest, dass dadurch ein höherer Schwellenwert im Sinne des § 9 BetrVG überschritten würde, sodass bei der nächsten Wahl zwei Betriebsratsmitglieder mehr zu wählen wären, kann er jetzt noch gestaltend eingreifen und zum Beispiel freiwerdende Stellen nicht neu besetzen, um auf diese Weise den entsprechenden Schwellenwert – weiter – zu unterschreiten.

Tipp Nr. 163: Arbeitsrechtliche Möglichkeiten einer Einsparung von Personalkosten ohne Entlassungen

Tipp Nr. 163 Arbeitsrechtliche Möglichkeiten einer Einsparung von Personalkosten ohne Entlassungen
In der Praxis sind Arbeitgeber gerade während der gegenwärtigen Pandemie gezwungen, Personalkosten einzusparen, um den Fortbestand ihres Unternehmens zu sichern. Hierfür stehen viele Möglichkeiten zur Verfügung.
Die falsche Strategie:
Strategisch falsch wäre, ohne weitere Überlegungen die notwendigen Personaleinsparungen durch betriebsbedingte Kündigungen erreichen zu wollen. Das entlassene Personal steht dann bei einer wirtschaftlichen Erholung nicht mehr zur Verfügung. Dies ist insbesondere auch deshalb problematisch, weil der Fachkräftemangel weiter anhalten wird.
Die richtige Strategie:
Stattdessen sollten andere Instrumente zur Einsparung der Personalkosten genutzt werden. Hierfür kommen z.B. in Betracht:
Individualrechtliche Möglichkeiten:
Einführung von Kurzarbeit
Dauernde einvernehmliche Verringerung der Arbeitszeit
Ausübung von Widerrufsrechten unter Nutzung vertraglicher Widerrufsvorbehalte
Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen
Verzicht auf nachvertragliche Wettbewerbsverbote
Betriebsverfassungsrechtliche Möglichkeiten:
Kündigung freiwillige Betriebsvereinbarungen
Kündigungen teilmitbestimmter Betriebsvereinbarung
Absenkung vertraglicher Leistungen durch Betriebsvereinbarungen
Tarifvertragliche Möglichkeiten:
Senkung des Arbeitszeitvolumens
Absenkung finanzieller Leistungen durch Sanierungstarifverträge

Ausführlich:
Kleinebrink, In der Krise: Arbeitsrechtliche Möglichkeiten einer Einsparung von Personalkosten ohne Entlassungen, DB 2020, 1905

Tipp-Nr. 162: Strategien zur Beteiligung der Belegschaft an Betriebsvereinbarungen

Tipp Nr. 162 Strategien zur Beteiligung der Belegschaft an Betriebsvereinbarungen
In der Praxis wünschen Arbeitgeber oder Betriebsrat in manchen Fällen, den Abschluss einer Betriebsvereinbarung von der Zustimmung der Belegschaft oder zumindest eines bestimmten Teils der Belegschaft abhängig zu machen, um deren Akzeptanz zu erhöhen.

Die falsche Strategie:
Strategisch falsch wäre, die Betriebsvereinbarung bereits formal ordnungsgemäß schriftlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zu vereinbaren und in der Betriebsvereinbarung aufzunehmen, dass diese nur in Kraft tritt, wenn ein bestimmter Prozentsatz der Belegschaft sie annimmt. Die Betriebsparteien können die normative Geltung einer von ihnen geschlossenen Betriebsvereinbarung nach einer jüngst ergangenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht an ein Zustimmungsquorum der Normunterworfenen binden.(BAG v. 28.7.2020 – 1 ABR 4/19). Eine solche Betriebsvereinbarung ist insgesamt unwirksam und nicht nur hinsichtlich der Regelung, die eine entsprechende Bedingung für das Inkrafttreten beinhaltet.
Die richtige Strategie:
Die Entscheidung des BAG hindert Arbeitgeber oder Betriebsrat hingegen nicht, eine Betriebsvereinbarung von einem bestimmten Meinungsbild der Belegschaft abhängig zu machen. Möchten Arbeitgeber oder Betriebsrat, dass eine Betriebsvereinbarung nur gelten soll, wenn ein bestimmter Anteil der Belegschaft mit ihr einverstanden ist , können sie ein entsprechendes Meinungsbild vor Abschluss einer solchen Betriebsvereinbarung einholen und dann – wenn ein entsprechend hoher Anteil an Zustimmung vorliegt –die Betriebsvereinbarung ohne jede weitere Bedingung unterzeichnen. Die Möglichkeiten der „Beeinflussung“ des gewählten Betriebsrats im Hinblick auf die Art und Weise der Ausübung der ihm obliegenden Aufgaben durch die Arbeitnehmer gesetzlich beschränkt (vgl. § 43 Abs. 3 Satz 1, § 86a Satz 2 BetrVG). Das schließt nach Auffassung des BAG eine inhaltliche Gremienarbeit des Betriebsrats unter Berücksichtigung verlautbarter oder eruierter Belegschaftsinteressen nicht aus. Gleiches muss dann für den Arbeitgeber gelten.

Tipp Nr. 161: Corona 8 – Strategien zur Wahrung der arbeitsschutzrechtlichen Fürsorgepflicht

Tipp Nr. 161 Corona 8: Strategien zur Wahrung der arbeitsschutzrechtlichen Fürsorgepflicht
Arbeitgeber haben gegenüber ihren Arbeitnehmern umfangreiche Fürsorgepflichten. Während der gegenwärtigen Pandemie stehen hierbei Fürsorgepflichten aus dem Arbeitsschutzrecht im Vordergrund. Ein Arbeitgeber hat nach § 618 Abs. 1 BGB Räume, Vorrichtungen und Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten sowie Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass die Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt sind als die Natur der Arbeitsleistung dies gestattet. Diese privatrechtliche Fürsorgepflicht ist eng mit öffentlich-rechtlichen Schutzvorschriften verzahnt. Dies geschieht in Zeiten der Pandemie insbesondere durch Regelungen des Infektionsschutzgesetzes, des SARS-CoV-Arbeitsschutzstandards und der SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel.
Die falsche Strategie:
Strategisch falsch wäre es, wenn der Arbeitgeber sich nicht nach entsprechenden Vorgaben richten würde. Arbeitnehmern würden dann verschiedene Rechte zustehen. Sie hätten insbesondere einen Anspruch auf Erfüllung der entsprechenden Arbeitsschutzbedingungen, sie könnten nach entsprechender Ankündigung von einem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch machen. Denkbar sind ferner Schadensersatzansprüche oder ein Recht der außerordentlichen Kündigung, das allerdings regelmäßig einer vorherigen vergeblichen Abmahnung durch den Arbeitnehmer bedarf. Gravierend wären auch öffentlich-rechtliche Folgen. Arbeitnehmer könnten sich nämlich nach einer erfolglosen Beschwerde beim Arbeitgeber an die zuständige Aufsichtsbehörde wenden und den entsprechenden Mangel anzeigen. Falsch wäre es außerdem, wenn der Arbeitgeber ohne weiteres Arbeitsschutzregelungen im Betrieb anwenden würde.
Die richtige Strategie:
Welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes im jeweiligen Betrieb und auf dem jeweiligen Arbeitsplatz erforderlich sind, ist nach § 5 Abs. 1 ArbSchG durch eine Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln. Die Ergebnisse einer solchen Gefährdungsbeurteilung muss der Arbeitgeber danach § 6 ArbSchG dokumentieren und aufbewahren. Erkennt der Arbeitgeber Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften, muss er nachweisbar handeln, um später gegen Aufsichtsbehörden dokumentieren zu können, dass er in seinem Betrieb versucht, die Arbeitsschutzvorschriften durchzusetzen. Andernfalls drohen ihm Sanktionen durch die Aufsichtsbehörde.

Ausführlich:
Kleinebrink, Die arbeitsschutzrechtlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers in Zeiten der Pandemie, ArbRB 2020, 377