Tipp Nr. 170 Corona: Der richtige Umgang bei einer Quarantäne während des Urlaubs
Arbeitgeber sind daran interessiert, einen einmal gewährten Urlaub nicht nachgewähren zu müssen, um Planungssicherheit zu haben und Personalkosten zu sparen. Das Gesetz sieht eine solche Nachgewährung in § 9 BUrlG vor, wenn ein Arbeitnehmer während des Urlaubs erkrankt. Allerdings ist zusätzliche Voraussetzung, dass durch ärztliches Zeugnis die Tage der Arbeitsunfähigkeit nachgewiesen werden. Geschieht dies, werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet. Fraglich ist aber, wie zu verfahren ist, wenn ein Arbeitnehmer während des Urlaubs nicht arbeitsunfähig wird, sich aber Corona bedingt in Quarantäne begeben muss.
Die falsche Strategie:
Strategisch falsch wäre es in einem solchen Fall, ohne weiteres – wie bei einer Arbeitsunfähigkeit – die Tage, in denen sich der Arbeitnehmer während des Urlaubs in Quarantäne befindet, nicht auf den Erholungsurlaub anzurechnen und folglich diese Tage gleichsam nachzugewähren.
Die richtige Strategie:
Das LAG Hamm wendet die Vorschrift des § 9 BUrlG in einem Urteil vom 27.02.2022 – 5 Sa 1030/21 – nun zwar auch dann an, wenn der Arbeitnehmer während des Urlaubs zwar nicht arbeitsunfähig wird, aber in Quarantäne muss. Das Gericht weicht damit aber von Entscheidungen des LAG Düsseldorf vom 15.10.2021 – 7 Sa 857/21 – und des LAG Köln vom 13.12.2021 – 2 Sa 488/21 – ab. Diese Gerichte hatten bei einer Quarantänemaßnahme eine Nachgewährung von Urlaub abgelehnt.
Gegen die Entscheidung des LAG Hamm wurde Revision zum Bundesarbeitsgericht eingelegt. Zu empfehlen ist daher, bei einer späteren Quarantäne ohne gleichzeitige Arbeitsunfähigkeit einen bereits genehmigten Urlaub nicht nachzugewähren, da § 9 BUrlG in einem derartigen Fall nicht entsprechend anwendbar sein dürfte. Das Risiko des Arbeitgebers ist begrenzt. Ergeht später höchstrichterlich eine Entscheidung, die eine Nachgewährung vorsieht, kann dann immer noch entsprechend verfahren werden. Außerdem ist damit zu rechnen, dass neue Verfahren von den unteren Instanzen, die einen solchen Streitgegenstand betreffen, nicht entschieden, sondern bis zur Klärung durch das BAG ausgesetzt werden.
Tipp Nr. 169: Die richtige Strategie zur Weiterbeschäftigung über die Regelaltersgrenze hinaus
Tipp Nr. 169 Die richtige Strategie zur Weiterbeschäftigung über die Regelaltersgrenze hinaus
Arbeitgeber sind häufig daran interessiert, Arbeitnehmer über deren Regelaltersgrenze hinaus zu beschäftigen, weil zum Beispiel eine Ersatzkraft noch nicht gefunden wurde oder ein neuer Arbeitnehmer noch eingearbeitet werden muss. Das Gesetz bietet hierfür eine wichtige strategische Möglichkeit. Insoweit ist aber eine neue Entscheidung des BAG zu berücksichtigen.
Die falsche Strategie:
In der Praxis geschieht es dann nicht selten, dass mit solchen „ehemaligen“ Arbeitnehmern Beraterverträge auf selbstständiger Basis abgeschlossen werden, um das gewünschte Ziel zu erreichen, obwohl sich tatsächlich im Vergleich zum bisherigen Arbeitsverhältnis nichts ändert. Dies ist strategisch höchst bedenklich, da bei einem derartigen Vorgehen die Gefahr einer Scheinselbstständigkeit besteht, sodass u.U. Sozialversicherungsbeiträge in erheblicher Höhe nachgezahlt werden müssen.
Die richtige Strategie:
Sieht eine Vereinbarung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vor, können die Arbeitsvertragsparteien nach § 41 Satz 3 SGB VI durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses den Beendigungszeitpunkt hinausschieben. Dies ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift auch mehrfach möglich.
Das Gesetz verlangt zunächst, dass eine Vereinbarung getroffen wurde, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze vorsieht. Das Gesetz stellt auf die „Regelaltersgrenze“ ab, da es eine einheitliche Altersgrenze nicht gibt. Liegt eine wirksame Vereinbarung einer Befristung des Arbeitsverhältnisses auf den Zeitpunkt des Erreichens der Regelaltersgrenze vor, ermöglicht § 41 Satz 3 SGB VI ein „Hinausschieben“ des bereits vereinbarten Beendigungszeitpunktes und damit eine befristete Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über das Erreichen der Regelaltersgrenze hinaus. Ein Hinausschieben des bereits vereinbarten Beendigungszeitpunkts setzt eine nahtlose Weiterbeschäftigung voraus. Die Verlängerungsvereinbarung muss außerdem noch vor Ablauf des zu verlängernden Vertrags, d.h. vor Erreichen der Regelaltersgrenze, getroffen werden, ansonsten liegt begrifflich keine Verlängerung vor. Beachten muss der Arbeitgeber außerdem etwaige Beteiligungsrechte des Betriebsrats. Nach einer neuen Entscheidung des BAG stellt eine solche Verlängerung eine Einstellung eines Arbeitnehmers iSd § 99 Abs. 1 BetrVG dar, so dass der Betriebsrat zur Vermeidung von rechtlichen Nachteilen rechtszeitig einzuschalten ist (BAG v. 22.9.2021 – 7 ABR 22/20).
Ausf. zu den Voraussetzungen und Musterformulierungen Kleinebrink, Altersbefristung nach neuem Recht, DB 2014, 1490ff.
Tipp Nr. 168: Oft bei der Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinn unterschätzt: Die Bestimmung des geschützten Personenkreises
Tipp Nr. 168 Oft bei der Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinn unterschätzt: Die Bestimmung des geschützten Personenkreises
Verstößt ein Arbeitgeber gegen die gesetzlichen Vorschriften zur Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne, kann dies für ihn erhebliche finanzielle Folgen haben. Insbesondere sieht § 23 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) einen Katalog von Bußgeldvorschriften vor. Die in dieser Vorschrift genannten Ordnungswidrigkeiten können mit einer Geldbuße von bis zu 15.000 € geahndet werden. Werden bestimmte Pflichtverletzungen vorsätzlich begangen und führt dies zu einer Gefährdung der Gesundheit oder Arbeitskraft eines Arbeitnehmers oder wird die Ortungswidrigkeit beharrlich wiederholt, liegt nach dieser Vorschrift ein Straftatbestand vor. Dies gilt in manchen Fällen sogar dann, wenn die Pflichtverletzungen fahrlässig begangen wurden. Für Arbeitgeber ist deshalb äußerst wichtig festzustellen, wann das Arbeitszeitgesetz eingreift.
Die falsche Strategie:
Strategisch falsch ist, sich sogleich mit schwierigen Abgrenzungsfragen, insbesondere zwischen Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst, zu beschäftigen. Vorgelagert ist eine andere Frage, die zunächst beantwortet werden muss.
Die richtige Strategie:
Arbeitgeber sollten zunächst prüfen, ob der Arbeitnehmer, für den sich ein Abgrenzungsproblem ergeben könnte, überhaupt unter das Arbeitszeitgesetz fällt. Das Gesetz gilt nämlich nach § 18 Abs. 1 ArbZG insbesondere nicht für leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 ArbZG. Allerdings müssen umgekehrt Arbeitgeber bedenken, dass es sich bei Personen, die für sie tätig sind, um Arbeitnehmer im Sinne des § 611 a Abs. 1 BGB handeln könnte, obwohl sie dies bisher nicht angenommen haben, weil sie von einer Selbstständigkeit ausgegangen sind. So hat das BAG zum Beispiel jüngst entschieden, dass Crowdworker, zumindest bei bestimmten Fallgestaltungen, Arbeitnehmer sind, obwohl der Betreiber der Plattform hiervon nicht ausgegangen war (BAG v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20). Entscheidend ist immer, wie die Tätigkeit ausgeübt wird und nicht, wie die Parteien das Vertragsverhältnis bezeichnen. Dieses Beurteilungsrisiko trägt immer der Arbeitgeber. Erst wenn feststeht, dass die jeweilige Person unter das Arbeitszeitgesetz fällt, muss der Begriff der Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinn geklärt werden.
Ausführlich Kleinebrink, Arbeitszeit ist nicht immer gleich Arbeitszeit, ARP 2021, 266
Tipp Nr. 167: Der ordnungsgemäße Zugang von Abmahnung und Kündigung gegenüber minderjährigen Auszubildenden
Tipp Nr. 167: Der ordnungsgemäße Zugang von Abmahnung und Kündigung gegenüber minderjährigen Auszubildenden
Kündigungen von Arbeitgebern scheitern oftmals bereits an formalen Voraussetzungen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn der Zugang einer Kündigung oder einer Abmahnung, die Grundlage der späteren Kündigung sein soll, nicht ordnungsgemäß erfolgt oder nicht beweisbar ist. Besonderheiten gelten insoweit bei entsprechenden Erklärungen, die von Ausbildenden gegenüber Auszubildenden erfolgen sollen, wenn diese noch minderjährig sind. Werden diese nicht beachtet, sind die entsprechenden Kündigungen bereits deshalb unwirksam und verursachen insbesondere nicht geplante Personalkosten.
Die falsche Strategie:
Strategisch falsch ist es, eine Kündigung gegenüber einem minderjährigen Auszubildenden diesem gegenüber abzugeben. Er ist zwar trotz seiner Minderjährigkeit Vertragspartner des Ausbildenden; der Zugang einer Kündigung – oder zugrundeliegenden Abmahnung – erfolgt ihm gegenüber aber nicht ordnungsgemäß.
Die richtige Strategie:
Eine gegenüber einem minderjährigen Auszubildenden abgegebene schriftliche Willenserklärung, zu denen auch Abmahnung und Kündigung gehören, geht nach § 130 BGB nur zu und wird nur dann wirksam, wenn sie mit dem erkennbaren Willen abgegeben worden ist, dass sie seinem gesetzlichen Vertreter erreicht und wenn sie tatsächlich in den Herrschaftsbereich des Vertreters gelangt. Da die gesetzlichen Vertreter in der Regel die Eltern sind, sollte das Anschreiben für die Übermittlung der Kündigung – und auch für die Übermittlung einer Abmahnung– an die Eltern „als gesetzliche Vertreter des Auszubildenden…“ adressiert werden, obwohl es nach dem Gesetz nach § 1629 Abs. 1 Satz 1 BGB, ausreichend ist, wenn nur einem Elternteil die Kündigung zugeht. Beigefügt werden muss dann die Kündigung bzw. Abmahnung des minderjährigen Auszubildenden. Nach § 22 Abs. 3 BBiG muss die Kündigung schriftlich und nach Ablauf der Probezeit unter Angabe der Kündigungsgründe erfolgen. Wichtig für die Praxis ist, dass es nach Ablauf der Probezeit nicht ausreicht, wenn dem gesetzlichen Vertreter in einem solchen Fall eine schriftliche Kündigung zugeht, die keine Begründung erhält. Dies gilt auch dann, wenn der Ausbildende die minderjährigen Auszubildenden diese Gründe schriftlich dargelegt hat. Die Kündigung ist auch dann unwirksam (BAG v. 25.11.1976 – 2 AZR 751/75).
Ausführlich zur Kündigung von Ausbildungsverhältnissen
Kleinebrink, Berufsausbildungsrecht: Vom Recruiting bis zur Übernahme, 1. Aufl. 2021, S. 96ff. und
Kleinebrink, Minderjährige im Berufsausbildungsverhältnis, ArbRB 2022, Heft 1
Tipp Nr.166 BetrVG: Der richtige Umgang mit digitalen Beschlüssen des Betriebsrats
Tipp Nr. 166 BetrVG: Der richtige Umgang mit digitalen Beschlüssen des Betriebsrats
Durch das am 18.06.2021 in Kraft getretene Betriebsrätemodernisierungsgesetz ist erstmals die Möglichkeit geschaffen worden, digitale Betriebsratssitzungen durchzuführen und dabei digitale Betriebsratsbeschlüsse zu fassen. Die Anforderungen, die an die Ordnungsmäßigkeit solcher Beschlüsse vom Gesetz gestellt werden, sind hoch. Arbeitgeber, die mit einem Beschluss des Betriebsrates nicht einverstanden sind, weil diese für sie mit Kosten verbunden sind, wie dies zum Beispiel aufgrund der Kostentragungspflicht nach § 40 BetrVG bei einem Beschluss, ein Betriebsratsmitglied zu einer Schulung nach § 37 Abs. 6 BetrVG zu schicken, der Fall ist, müssen sich auf diese Neuregelungen einstellen. Betriebswirtschaftliches Ziel des Arbeitgebers ist es, diese Kosten möglichst gering zu halten, um insbesondere für Investitionen nach Beendigung der Pandemie finanziell gerüstet zu sein.
Die falsche Strategie:
Eine falsche Strategie wäre es, jeden Beschluss eines Betriebsrats, unabhängig davon, ob er auf einer Präsenzsitzung beruht oder in einer digitalen Betriebsratssitzung gefasst wurde, zu akzeptieren.
Die richtige Strategie:
Ist ein Arbeitgeber mit einem Beschluss des Betriebsrats nicht einverstanden, sollte er dessen Ordnungsmäßigkeit bestreiten. Allerdings muss er vor bestreiten des Rechtswegs durch den Betriebsrat auch abwägen, dass er die dem Betriebsrat durch ein gerichtliches Verfahren entstehenden Kosten nach § 40 BetrVG tragen muss Gelingt es einem Betriebsrat dann nicht zu beweisen, dass die gesetzlichen Vorgaben bei der Beschlussfassung beachtet worden sind, drohen ihm insbesondere dann, wenn der entsprechende Beschluss Grundlage für eine einseitige Maßnahme, wie zum Beispiel Entsendung zu einer Schulung, sein soll, erhebliche Nachteile, sofern es sich nicht nur um einen leichten Verfahrensfehler handelt. Die Maßnahme, die Gegenstand der Beschlussfassung ist, ist dann ebenfalls nichtig. Im Beispielsfall hat das Betriebsratsmitglied ohne rechtliche Grundlage an der Schulung teilgenommen. Der Arbeitgeber muss die Schulungskosten nicht tragen; außerdem fehlte das Betriebsratsmitglied unberechtigt und erhält kein Arbeitsentgelt. Eine nachträgliche heilende Beschlussfassung ist nach zutreffender Auffassung des BAG insoweit nicht möglich (BAG 8.3.2000 – 7 ABR 11/98).
Im Zusammenhang mit der Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- und Telefonkonferenz nach § 30 Abs. 2 und Abs. 3 BetrVG muss insoweit vom Betriebsrat insbesondere beachtet werden, dass die Voraussetzungen für eine solche Teilnahme in der Geschäftsordnung unter Sicherung des Vorrangs der Präsenzsitzung festgelegt sind, nicht mindestens ein Viertel der Mitglieder des Betriebsrats innerhalb einer von dem Vorsitzenden zu bestimmenden Frist diesem gegenüber widerspricht und sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. In der Geschäftsordnung müssen genau die Bedingungen festgelegt werden, unter denen eine virtuelle Sitzung möglich ist. Der Betriebsratsvorsitzende ist an die Vorgaben der Geschäftsordnung gebunden; er kann den dann nicht mehr frei entscheiden, welches Format erwählt. Außerdem muss ein Hinweis in der Einladung zu Betriebsratssitzung erfolgen, dass und wie die Video- und/oder Telefonkonferenz eingesetzt werden soll.